Bergschäden: vom Erdgeschoss zur Tiefparterre

Die Zechen hatten ja was Gutes: Sie haben Wanne-Eickel (und viele Nachbarstädte) erst möglich gemacht. Dann sicherten sie über Jahrzehnte der heimischen Industrie die notwendige Energie und den Bürgern der Städte ein halbwegs ordentliches Ein- und Auskommen. Diese waren im Gegenzug dazu bereit, einiges in Kauf zu nehmen, Ruß oder den Gestank der Kokereien zum Beispiel. Langfristig verloren die Einwohner aber auch an Höhe.

In Folge der hemmungslosen Kohlebuddelei tief unterhalb von Wanne-Eickel entstanden unzählige Hohlräume, die anfangs gar nicht und später nur locker verfüllt wurden, nachdem die Kohle abgebaut war. Natürlich hielten diese Hohlräume nicht ewig, die darüber liegenden Erd- und Gesteinsmassen quetschten sie zusammen und alles sackte ein Stückchen tiefer. Ganz oben machte die Erdoberfläche die langsame Talfahrt natürlich auch mit.

Die ganze Abwärtsbewegung spielte sich beileibe nicht im Zentimeterbereich ab. Manche Teile des Ruhrgebiets sind 30 Meter tief gesunken. Fährt ein ganzer Stadtteil gleichmäßig auf Tiefparterre, erleben die Bewohner zunächst nichts Spektakuläres an ihren Häusern oder in ihrem Straßenzug. Sind sie aufmerksame Beobachter, werden sie vielleicht feststellen, dass die Kirchturmspitze, die man 20 Jahre vorher noch in der Ferne sehen konnte, hinterm Horizont verschwunden ist. Als Ausgleich dafür hat sich vielleicht auf einer Wiese in der Nähe ein See gebildet.

Überall, wo es Wasser gab, waren die Veränderungen in der Vergangenheit am deutlichsten zu spüren und erforderten zahlreiche Maßnahmen. Wenn Flüsse und Bäche plötzlich nicht mehr flossen, wurden sie in Betonbetten gelegt. Wenn Schiffe auf Kanälen nicht mehr den Berg hochkamen, mussten sie mit Schleusen gehoben werden.

Wenn sich durch die Launen des Untergrunds die Oberfläche aber schnell und nicht gleichmäßig absenkte, bekamen es die Wanne-Eickeler ganz unmittelbar zu sehen und zu spüren. Die Mehrzahl aller Häuser hat Bergschäden: mal ganz feine Risse im Putz, mal Besorgnis erregende Spalten im Mauerwerk. Manche Häuser kippen aus dem Lot, was besonders dann auffällt, wenn ihr Nachbar noch senkrecht steht.

Das prominenteste Opfer der Bergsenkungen war die Barbarakirche in Röhlinghausen. Gerade mal 50 Jahre war sie alt und gehörte damit zu den jüngsten Kirchen Wanne-Eickels, als Anfang 1963 die Bergschäden so dramatische Ausmaße annahmen, dass die Kirche aus Sicherheitsgründen geschlossen werden musste. Da auch noch Turm- und Dachteile herabzustürzen drohten, beschloss man die Sprengung des Gotteshauses.

Am 22. Oktober 1965 hat es aber erst im zweiten Anlauf geklappt. Die neugotische Barbarakirche war Geschichte. Die alte Cranger Schule ereilte mittels Bagger das gleiche Schicksal. Wer heute offenen Auges durch Wanne-Eickel geht, wird aber noch viele steinerne Zeugen der Bergsenkungen finden. Und nicht an allen ist der Bergbau schuld: Die schiefen Häuser von der Hochstraße verdanken ihre Schräglage einem Bombenkrater aus dem Zweiten Weltkrieg.

Die Barbarakirche und ihr trauriges Ende: Am 22. Oktober 1965 wird der erste Sprengsatz gezündet (Bild oben), der Turm bleibt stehen. Erst die zweite Sprengladung zwingt den Riesen in die Knie (Bild unten).

Auch die alte Cranger Schule drohte umzukippen. Der Bagger machte dem Schiefstand ein Ende.

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