Unser Fritz 2/3 - Die allererste Künstlerzeche im Ruhrgebiet

 

Immer, wenn Helmut Bettenhausen zur Bushaltestelle ging, kam er an Unser Fritz 2/3 vorbei. Als Angestellter der Stadtverwaltung Wanne-Eickel tat er das mindestens fünfmal die Woche. Damals, Anfang der Sechziger Jahre, wurde noch kräftig gewerkelt auf der kleinen Zechenanlage nördlich des Kanals. Kohle wurde zwar seit 1925 nicht mehr gefördert, aber die Schachtanlage wurden noch betrieben – zur Bewetterung, für die Wasserwirtschaft und den Reparaturbetrieb unter Tage.


 
Unser Fritz 2/3 Anfang der Siebziger Jahre.

In den nicht mehr von der Zeche genutzten Gebäuden hatten sich inzwischen andere Firmen angesiedelt. Die Kaue war längst ein Holzlager, daneben wurde an Kisten gewerkelt – und einige Räume standen leer. Die hatten es Helmut Bettenhausen angetan. Weil sich seine Neugier mit Hartnäckigkeit paarte, gelang es ihm, im ehemaligen Kauengebäude einige Räume anzumieten. Als Atelier, nicht als Werkstatt. Was die Gewerbetreibende in einer Zeche noch nicht kannten, es aber doch ziemlich o.k. fanden.

Heute, wo etwa jede vierte ehemalige Schachtanlage eine Kultur-, Kunst- oder Künstlerzeche ist, scheint Unser Fritz also nichts Besonderes. Historisch betrachtet steht man im Dannekamp aber vor der Mutter aller Kultur-Zechen. Schließlich setzte der Boom der Industriekultur erst Anfang der Achtziger ein. Helmut Bettenhausen war sich seiner Pioniertat wahrscheinlich gar nicht so recht bewusst, als er 1964 hier einzog und zu malen begann.


 
Helmut Bettenhausen in seinem Atelier 1966.

Acht Jahre lang blieb er allein unter Händlern und Handwerkern. Als dann 1972 weitere Räume frei wurden, fand Bettenhausen schnell Künstlerkollegen, die gerne neue Nachbarn werden wollten. Und es waren nicht wenige, die sich in den Siebziger Jahren auf Unser Fritz ein Stelldichein gaben: Peter Grzan, HD Gölzenleuchter, Karsten Knierim, Angelika Voss, Barbara Schulz-Labus oder Hans Menne gingen irgendwann wieder, andere kamen hinzu und einige blieben (fast) die ganze Zeit auf Unser Fritz: Werner Köntopp, Winfried Labus, Ulla Potthoff zum Beispiel. Und natürlich Helmut Bettenhausen.

Neben Grzan hatten in den siebziger Jahren noch andere „Bildende“, die nebenbei Musik machten, ihr künstlerisches Zuhause auf Unser Fritz: der Schlagzeuger Jens Blome z.B. oder der Saxophonist Georg Fritz. Klar, dass es in der Künstlerzeche bald nicht nur Bilder, sondern auch Musik gab. Zu den ersten, noch ziemlich spontanen Kunstausstellungen und Aktionen gesellten sich bald Rock- und Jazz-Konzerte. Mit sehr unterschiedlichen Reaktionen. Begeisterung bei den jungen Leuten, die nicht nur aus Downtown-Wanne-Eickel sondern bald aus dem gesamten Ruhrgebiet zum Dannekamp pilgerten. Und mit deutlich weniger Begeisterung bei den Anwohnern, in deren friedliche Enklave nördlich des Kanals plötzlich ziemlich viele Autos und ziemlich laute Rhythmen eindrangen.


  Bildende Künstler und Musiker auf Unser Fritz 1974
  (in der Bildmitte mit gestreiftem Pullover: Peter Grzan).

Schnell machte sich die Künstlerzeche einen überregionalen Namen als Top-Adresse für alle Arten von Kunst und Kultur. Hier sah man Bilder, Skulpturen und Installationen von Künstlern wie Rolf Glasmeier, Heinrich Brockmeier, Kai Wunderlich oder PEATC Vossmann, hier lasen Autoren und hier spielten Mitglieder renommierter Theaterensembles. Hier saß ein Herbert Grönemeyer am Piano und die Band Grobschnitt drehte auf Unser Fritz ein TV-Clip. Dazwischen immer wieder Ausstellungen und Auftritte talentierter Wanne-Eickeler und Künstler aus den Nachbarstädten. Dabei hatte sich die Zeche Unser Fritz nie als Veranstaltungszentrum gesehen. Eher als Gastgeber.

Und in dieser Funktion hatten die Künstler vonne Zeche auch eine gute Idee, was die Anwohner betraf: Am Aschermittwoch 1978 bekamen die Dannekämper eine Einladung zum Heringsessen in den Räumen der Künstlergemeinschaft. Da man sich beim gemeinsamen Futtern besser kennen lernen und manche Vorbehalte ausräumen konnte, gab’s dann jedes Jahr Hering für alle. Und so kamen nicht nur Anwohner, sondern bald auch Freunde und Kollegen, Politiker und Beamte: Kaum zu glauben, aber mittlerweile gibt es 500 davon. Scheinen also zu schmecken, die Heringe auf Unser Fritz.


 
Pinne von Pütt: 1977 wurden die Pfähle
  in alle Welt verschickt.

Weil in den Siebzigern und Achtzigern immer weniger Zechenbetrieb auf der Zeche herrschte und auch das Kleingewerbe fortzog, waren die Künstler bald allein auf dem Gelände, auf dem immer noch die zwei Fördertürme standen. Das, was die Bergwerksleitung von den Künstlern an Miete bekam, deckte keinen großen Erhaltungsaufwand, und so verschwanden dann irgendwann die Fördertürme und andere Zechenbauten. Aber bevor die Bergwerksleitung auf weitere dumme Pläne kommen konnte, kaufte die Stadt Herne die Künstlerzeche.

So ganz selbstverständlich war dieser Schritt allerdings nicht. Schließlich hatten anfangs weder die Stadt Wanne-Eickel noch die Stadt Herne nach 1975 es verstanden, die Künstlerzeche zu einem kulturellen Aushängeschild zu machen. Nein, so manches Mal war den Stadtvätern die Existenz der Künstlerzeche und das, was auf ihr passierte, so gar nicht recht. Schließlich mischten sich Künstler und Besucher von Unser Fritz nicht selten auch politisch ein. Und sagten was anderes, als das Rathaus gerne hören wollte.

Ende der 80er Jahre gaben dann die Jusos ein paar Impulse: Unser Fritz wäre doch ein tolles Projekt für die Internationale Bauausstellung Emscherpark (IBA). Und so landeten die Wanne-Eickeler irgendwann auf der Matte von Wolfgang Clement, damals noch Leiter der Staatskanzlei NRW. Und dort erfuhren sie, dass man erst mal einen Verein gründen solle, sonst ginge gar nichts.


  Heringsessen mit Werner Köntopp, Helmut
  Bettenhausen, Ulla Potthoff, Winfried Labus
  und Günter Dworak (v.l.).

Dies war der Anstoß für den Förderverein der Künstlerzeche, der auch heute noch die Geschicke des Pütts lenkt. Und auch der Anstoß für eine seriöse Förderung des ramponierten Zechenbaus und seiner Nutzung. 2,5 Mio. Mark wurden dann in einer langwierigen Sanierungsphase verbaut. Jetzt strahlt die Künstlerzeche in frischem Glanz. Ungehindert, denn das auf Unser Fritz zuletzt wild wuchernde Grün ist verschwunden. Drinnen ist es jetzt nicht nur nett – sondern fast richtig chic. Ein feiner Rahmen für die Ausstellungen, von denen jährlich mindestens vier stattfinden. Alle Künstler haben mittlerweile richtig gediegene Klingelschilder, eine neue Fußgängerbrücke verbindet den Dannekamp mit dem Rest der Welt (spprich: Wanne-Eickel) und das einzige, was jetzt noch fehlt, ist eine integrierte oder benachbarte Gastronomie, damit Besucher noch einen Grund mehr hätten, die Zeche am Kanal häufiger anzusteuern.

 

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